Werner Kriesi war von 1998 bis 2006 Mitglied des EXIT-Vorstandes (von 2003- 2004 als Präsident). Er leitete während dieser Zeit das Ressort Freitodbegleitung. Zudem war er Mitglied der Ethik-Kommission, der er auch nach seinem Rücktritt aus dem Vorstand angehörte.
Von ELISABETH ZILLIG (ehemalige EXIT-Präsidentin)
An meine erste Begegnung mit Werner Kriesi im Februar 2003 kann ich mich gut erinnern. Im Vorfeld meiner Nominierung als neues Mitglied des EXIT-Vorstandes hat er es sich als Vizepräsident zur Pflicht gemacht, mich zu meiner Einstellung zur Sterbehilfe zu befragen. Aus dem Interview wurde bald ein tiefgründiges und äusserst bereicherndes Gespräch, dem in den nachfolgenden Jahren noch viele weitere folgen sollten.
Kein Dogmatiker
Aus seiner früheren Tätigkeit als Pfarrer war Werner Kriesi mit Fragen zu Leben und Tod bestens vertraut. Werner war kein Dogmatiker, er respektierte auch Auffassungen, die er selber nicht teilte. Seine Schilderungen von besonders schwierigen Begleitungen am Ende eines Lebens zeugten stets von grossem Einfühlungsvermögen in die Situation der Menschen, die sich ihm auf ihrem letzten Weg anvertrauten.
Das Prinzip der Selbstbestimmung war Werners Richtschnur. Drohte dieses Recht verletzt zu werden, forderte er es mit Vehemenz ein. Etwa dann, wenn Ärzte oder Ärztinnen Patientenverfügungen ignorieren wollten oder wenn Behörden bedeutungslose Details im Zusammenhang mit Freitodbegleitungen beanstandeten. Werner Kriesi liess es nicht dabei bewenden, unakzeptables Verhalten zu beklagen. In unzähligen Gesprächen mit den zuständigen Instanzen setzte er sich ein für dauerhafte Verbesserungen der Abläufe von Freitodbegleitungen. Dies ist ihm in vielen Fällen gelungen.
EXIT hat ihm viel zu verdanken
Im Rahmen seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied von EXIT sah sich Werner Kriesi immer bewusst, dass zwischen den institutionellen Grenzen und Möglichkeiten von EXIT und dem Anspruch auf Selbstbestimmung der Mitglieder ein Spannungsfeld besteht. Es war für ihn nicht immer leicht, diese Spannung zu ertragen, denn seine Priorität galt dem Prinzip der Selbstbestimmung. Auch nach seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied setzte er sich dafür ein, dass dieses Prinzip für EXIT weiterhin als Kompass bleibt. Dies zeigte sich insbesondere in seinem Engagement in der Diskussion um den sogenannten Altersfreitod.
Werner Kriesi war nicht nur ein klarer, scharfsinniger Denker und ein unermüdlicher Kämpfer für die Ziele von EXIT, er war auch ein einfühlsamer Kollege, dem es darum ging, das Schiff auf Kurs zu halten. Nebst anspruchsvollen und in der Sache hart ausgetragenen Diskussionen erlebte der Vorstand mit ihm auch zahlreiche gesellige Anlässe in freundschaftlicher und humorvoller Atmosphäre. Einerseits beeindruckte Werner mit seiner reichen Lebenserfahrung, andererseits mit seinen eigenständigen und tiefsinnigen theologischen und philosophischen Auslegungen.
EXIT hat Werner Kriesi viel zu verdanken und wir werden seine Stimme vermissen.
Acht Jahre lang bis 2014 war Pfarrer Werner Kriesi im Stiftungsrat von palliacura tätig. Wortgewandt und mit ausgeprägtem Willen zu Veränderungen setzte er sich für den Ausbau und die Etablierung der Palliative Care in der Schweiz ein. Demenz und Altersfreitod waren zwei weitere wichtige Themen, zu denen er sich immer wieder ausführlich und engagiert äusserte. Und es war ein Genuss, in geselliger Runde seine originellen Ausführungen zu theologischen Fragen zu hören.
Von PETER KAUFMANN, Stiftungsratspräsident palliacura
Sein Schatz an Anekdoten und Geschichten aus dem Alltag war gross: Werner Kriesi schöpfte aus Erinnerungen eines langen Lebens. Anlass dazu waren über 30 Nachtessen, die im Anschluss an die Stiftungsratssitzungen als Dank für die ehrenamtliche Tätigkeit der Mitglieder stattfanden. Werner erzählte viel aus seiner Zeit als aufmüpfiger Armeeseelsorger, von tagelangen Velofahrten mit seinen Konfirmanden in osteuropäische Länder oder von Wanderungen, die ihn und eine kleine Freundesgruppe weit über die Jurahöhen und einmal sogar bis nach Paris führten. Viel zu erfahren war auch von den Holzarbeiten, die er als gelernter Schreiner für seinen Familienkreis anfertigte. Und besonders bereichernd waren seine humorvollen Auslegungen bekannter Bibelsprüche, zu denen er uns unkonventionelle theologische Erläuterungen mit auf den Heimweg gab. Wer wollte, konnte lange darüber nachdenken.
Erfahrungen am Sterbebett
Auch an seinen Erfahrungen am Sterbebett liess uns Werner Kriesi immer wieder teilhaben. Zehn Jahre lang leitete er die EXIT-Freitodbegleitung und war auch nachher noch für die sogenannt «schwierigen Fälle» zuständig. «Aus der Praxis der Freitodbegleitung» betitelte er denn auch 2012 seinen Beitrag zum international preisgekrönten Diskussionsbuch «Der organisierte Tod» (erschienen bei Orell Füssli), das von palliacura gefördert wurde.
Für die Freitodbegleitung nahm er oft auch in aller Öffentlichkeit Stellung: 2011 etwa im von palliacura unterstützten Zürcher Komitee «Selbstbestimmung am Lebensende». Das Komitee bekämpfte die von stark religiös geprägten Kreisen eingereichten Zwillingsinitiativen «Nein zum Sterbetourismus im Kanton Zürich» und «Stopp der Suizidhilfe». Beide Initiativen wurden in der Folge vom Zürcher Stimmvolk wuchtig abgelehnt.
Themen Demenz und Altersfreitod
Zwei weitere wichtige Themen lagen Werner Kriesi besonders am Herzen. Bis zu welchem Zeitpunkt können an Demenz erkrankte Menschen noch assistierten Suizid begehen? Dazu hielt Werner mehrmals grundlegende Überlegungen schriftlich fest. Und mit voller Überzeugung setzte er sich in der EXIT-Arbeitsgruppe Altersfreitod dafür ein, «dass auch betagte Menschen mit nicht unmittelbar zum Tode führender Erkrankung selbstbestimmt sterben können» (EXIT-Mitteilung 9.8.23). Unvergessen ist auch seine Festrede «Rund um die Palliativpflege – einige Streiflichter» zum 25-Jahr-Jubiläum von palliacura. Mit kritischer Distanz, aber auch viel Einfühlungsvermögen setzte er sich mit der aktuellen Situation der Palliativpflege in der Schweiz auseinander.
Für palliacura war Werner Kriesi gewissermassen das theologische und moralische Gewissen. Wir werden seine Unterstützung vermissen.
Mehr von Werner Kriesi zum Thema Demenzerkrankungen findet sich hier.
Werner Kriesis Festrede: Gedanken zur Palliativepflege in der Schweiz