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«Über den Tod reden ist lernbar»

Den eigenen Vater gehen lassen – Publizist Ueli Oswald hat dies bewogen, ein Tabuthema anzugehen: den Bilanzsuizid alter Menschen.


«Ich war ein schrecklicher Laie.» So spricht einer, der 2009 mit dem Buch «Ausgang» für Aufsehen gesorgt hat. Ein Buch über das Begleiten und das Sterben des eigenen Vaters, der, wie Ueli Oswald sagt, nicht lebensmüde war, aber lebenssatt. So begann Oswald, der Zürcher Publizist, auch sein Referat am Weltkongress 2012 der Sterbehilfeorganisationen in Oerlikon. Und so schreibt er im Werk «Der organisierte Tod», ein Buch über Pro und Contra zur Sterbehilfe und Selbstbestimmung am Lebensende. Ein Laie war Oswald, was das Sterben betraf. Erst mit 50 Jahren sah er zum ersten Mal einen toten Menschen. Seine Mutter. Früher hielt immer jemand den Tod von ihm fern. «Das Thema war in unserer Familie total tabuisiert.»

Nach dem Bilanzsuizid seines Vaters entschied sich Ueli Oswald, dieses einschneidende Erlebnis mit der Öffentlichkeit zu teilen. Denn, wie er fand, müssten mehr Menschen über dieses Thema und diese Art zu sterben Bescheid wissen. Also schrieb er ein Buch*. Die Entscheidungsfindung, die Geschichte öffentlich zu thematisieren, habe dabei fast länger gedauert, als das Buch zu schreiben, sagt Oswald rückblickend. Für ihn war dieses Werk eine Chance zur Authentizität. Er verschwieg dabei weder unangenehme, noch persönliche Einzelheiten.

Kein Diktat vom Staat

Heute ist es Oswald wichtig, dass sich die beiden Gruppen, Sterbehilfe und Palliativmedizin, nicht gegeneinander ausspielen. «Jeder Betroffene darf und muss für sich entscheiden können, was er will.» Einige Menschen mögen ihre Krankheit mit Palliativ Care aushalten, für andere wiederum sei der Weg zu EXIT der richtige. Doch fast wichtiger ist Oswald, dass dieser persönliche Entscheid, solange der Betroffene entscheidungsfähig ist, nicht vom Staat diktiert wird. «Denn das hätte etwas Arrogantes.»

Ein von langer Hand geplanter Tod – in Deutschland ist für viele noch heute der begleitete Freitod tabu. Oswald geht gar soweit, dass er sagt, die dortigen Medien würden sich drücken, darüber zu berichten. Für ihn total unverständlich: «Es kann doch nicht sein, dass Freitodsuchende in die Schweiz getrieben werden. Oder vor den Zug.» Viel sinnvoller sei es, frühzeitig über den Tod, die Palliativpflege oder Sterbehilfe zu reden, bevor es einen selber betreffe. Weg von der Heimlichkeit, hin zu einer Offenheit, die befreiend wirke. Das Sterben enttabuisieren. Oswald findet, dass Menschen gerade so einander richtig kennenlernen. «Diese Diskussionen sind schmerzhaft, also wird oft geschwiegen. Aber das Sterben ist zu bedeutend, als dass es totgeschwiegen werden darf.»

JULIAN PERRENOUD
August 2012

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Ueli Oswald, *1952, Zürich, studierte Ethnologie und Publizistik und arbeitet heute als freier Publizist, Coach und Mediator. 2009 veröffentlichte er im Verlag Edition Epoca das viel beachtete Buch «Ausgang: Das letzte Jahr mit meinem Vater» (ISBN 978-9-905513-47-9). Heinrich Oswald, Generaldirektor und Oberstleutnant, war mit 90 Jahren mithilfe von EXIT aus dem Leben geschieden.