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Vermehrte Zusammenarbeit der Schweizer Hospize

Elf bestehende und entstehende Hospiz-Einrichtungen haben 2015 in Zürich den Dachverband Hospize Schweiz gegründet. palliacura unterstützt diesen Verband, der die stationäre spezialisierte Palliativ-Care-Versorgung unseres Landes verbessern will. Einige Fragen an den Geschäftsleiter Hans Peter Stutz.

Warum ist der Verband Schweizer Hospize erst jetzt gegründet worden?

Hospize haben in der Schweiz eine andere Tradition als in vielen Nachbarländern und sind generell noch nicht so weit verbreitet. Einige der wenigen Hospize bestehen aber schon seit fast drei Jahrzehnten. Ihre individuelle Gründungsgeschichte ist geprägt von Menschen mit Pioniergeist – wie von Louise Thut im Fall des Hospizes Aargau – oder auf besondere gesellschaftliche Umstände, wie das von Prof. Ruedi Lüthi und Pfarrer Heiko Sobel mitbegründete Zürcher Lighthouse im Kontext der Versorgung von Aidskranken. Die Fortschritte der Medizin stellen uns als Kehrseite vor die Herausforderung, irgendwann eine bewusste Entscheidung für eine Veränderung des Therapieziels zu treffen: Wann machen kurative Therapien keinen Sinn mehr? Und wie soll es dann weitergehen?

Was bedeutet dies für den Menschen in seiner besonderen Situation am Lebensende?

Manche Menschen können zuhause nicht mehr palliativ gepflegt und betreut werden. Ihnen einen Ort der Sicherheit mit einer ganzheitlichen Betreuung zu bieten und gleichzeitig Ruhe und Geborgenheit, um sich von ihren Angehörigen und ihrem Leben zu verabschieden, ist eine Frage der Menschlichkeit und Solidarität und zeichnet eine Gesellschaft aus. Der Bedarf an solchen Institutionen wird steigen, weil die Versorgung ohne tragende Familiensysteme immer weniger möglich ist.

Wie sieht die palliative Situation in der Schweiz aus?

Bund und Kantone haben mit der Nationalen Strategie Palliative Care gemeinsam Rahmenbedingungen für eine gute palliative Versorgung erstellt. Hospize sind als Institutionen der Spezialisierten Palliative Care in der Langzeitpflege darin integriert. Das heisst jedoch nicht, dass Hospize schon zum festen Angebot gehören, im Gegenteil: Da die Finanzierung der Hospize in der Schweiz nicht sichergestellt ist, gibt es derzeit zu wenige Plätze und eine für die Betroffenen schmerzliche Versorgungslücke.

Welches sind die wichtigsten Tätigkeiten des Dachverbandes Hospize Schweiz?

Wir wollen Hospizarbeit als Teil der palliativen Versorgung sichtbar machen. Das schliesst eine öffentliche Veranstaltung pro Jahr an jährlich wechselnden Standorten für die Öffentlichkeit mit ein, die über die Besonderheit der Hospizarbeit informieren. Der Zusammenschluss von heute bereits 13 bestehenden und entstehenden Hospizen ermöglicht einen Austausch zur Qualitätssicherung und den Wissenstransfer untereinander.

Welche Ziele haben Sie bereits erreicht?

Über den Zugang zur Nationalen Plattform Palliative Care sind wir auf nationaler Ebene im Austausch mit allen Akteuren der palliativen Versorgung. In der Szene hat sich der Verband als Anlaufstelle für Fragen in der Voreröffnungsphase für entstehende Hospize einen Namen gemacht: Fünf Initiativen sind bereits Mitglieder, drei weitere haben Kontakt aufgenommen und könnten noch hinzukommen. Zur Information über Hospizarbeit in der Öffentlichkeit haben wir bereits zwei öffentliche Veranstaltungen in Bern (Thema Spiritual Care) und in Luzern (Thema Hospizkultur) organisiert.

Welche Ziele streben Sie noch an?

Indem wir zeigen, was ein Hospiz in der praktischen Arbeit ausmacht, wollen wir Hospize als integralen Bestandteil der palliativen Versorgung positionieren. Im Moment gibt es eine grosse Vielfalt: in Angeboten und Leistungen und auch in der Finanzierung. Unser Ziel ist es, ein Finanzierungsmodell zu erarbeiten, mit dem Hospize ihre Leistungen realistisch vergütet bekommen.

Wie stellen Sie sich zur Selbstbestimmung am Lebensende?

Diese Frage dürfte die Gretchenfrage für diejenigen sein, die dem begleiteten Suizid mindestens offen gegenüberstehen, wenn nicht sogar darin die einzige Option sehen. Die Antwort mag mit darüber entscheiden, ob sie ein Hospiz in der entsprechenden Lebenssituation als Alternative überhaupt in Erwägung ziehen und Hospize als integrativen Teil der palliativen Versorgungskette sehen. Die Antwort darauf könnte kurz und sehr banal daherkommen: Selbstbestimmung und die Bewahrung der Autonomie der Patienten bis zuletzt sind unverzichtbarer Teil der Haltung im Hospiz, weil Selbstbestimmung einer der Grundpfeiler der Palliative Care ist. Historisch gewachsen ist dies unter anderem genau als Gegenbewegung zum früheren paternalistisch gestalteten Ärzte-Patienten-Verhältnis, in dem der Arzt bestimmte, was für den Patienten gut und richtig ist. Hospize als Institutionen mit spezialisiertem Palliative-Care-Auftrag sind diesem Grundsatz unbedingt verpflichtet: Die Entscheidung des Patienten steht im Mittelpunkt aller Massnahmen.

Ohne jede Grenze?

Das Selbstbestimmungsrecht hat allerdings – nicht nur im Kontext des Hospizes – natürliche Grenzen:

  • Schon vor Eintritt in ein Hospiz werden Patienten darüber aufgeklärt, dass im Hospiz weder lebensverlängernde noch lebensverkürzende Massnahmen getroffen werden. Mit dem Eintritt entscheiden sich die Menschen in einem gut informierten Zustand, freiwillig und selbstbestimmt für den palliativen Weg.
  • Hospize verstehen sich als Schutzraum für Menschen in der letzten Lebensphase, die in besonderem Masse verletzlich sind. Hospize halten es deshalb für wichtig, die Mit-Bewohner im Haus und auch die Mitarbeitenden vor den direkten Eindrücken eines begleitenden Suizids zu schützen. Deshalb ist eine Information im Hause möglich, der Vollzug jedoch nicht.
  • Zu bedenken ist auch, dass heutzutage Menschen in ihrer letzten Lebenszeit meist erst sehr spät die palliative Pflege in einem Hospiz in Anspruch nehmen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer hat sich deshalb sehr verringert. Für die Angestellten eines Hospizes ist dieser stete Wechsel und die zunehmende Zahl der Patienten respektive Todesfälle pro Jahr oft schwierig zu bewältigen: Auch deshalb möchten die Hospize ihre Mitarbeitenden nicht noch zusätzlich durch die Auseinandersetzung mit den Umständen eines begleiteten Suizids belasten.

Das so verstandene Selbstbestimmungsrecht schliesst selbstverständlich die Option mit ein, es sich anders überlegen zu können, das heisst möglicherweise doch noch einmal auf den kurativen Weg einzuschwenken oder aber einen begleiteten Suizid in Erwägung zu ziehen. Im Respekt vor den individuellen Entscheidungen ist sowohl der Eintritt in ein Akutspital möglich wie auch ein Besuch durch einen Vertreter von Sterbehilfe-Organisationen, um entsprechende Fragen zu klären. Diese Haltung wird auch durch die Tatsache untermauert, dass ein Patient für einen Aufenthalt im Hospiz – im Gegensatz zum Pflegeheim – nicht seinen Wohnsitz verlegt. Es bleibt ihm also in der Regel eine auswärtige, private Unterkunft, in die er sich gegebenenfalls zurückziehen kann.

Interview: PETER KAUFMANN

Juli 2017

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Hans Peter Stutz ist Mit-Initiant des Hospizes Zentralschweiz und hat als Geschäftsleiter der gleichnamigen Stiftung die Gründung des Dachverbands im August 2015 mit angeregt.