Felix gutzwiller w800

​«Palliative Care hat sich entwickelt»

​Der Zürcher Präventivmediziner und Politiker Felix Gutzwiller spricht über das Verhältnis zwischen Palliative Care und Freitodbegleitung und über die Gratwanderung zwischen zwei Menschenrechten.


Steht ein medizinisches Thema zur Debatte – in den Medien, in der breiten Öffentlichkeit – wird er gerne zu Rate gezogen: em. Prof. Felix Gutzwiller war Direktor des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Zürich und Zürcher Ständerat. Im Debattenbuch «Der organisierte Tod» schrieb er als einer von 26 Autoren über die Verantwortung des Staates bei der Sterbehilfe, das Recht auf Menschenwürde und das Recht auf Fürsorge.

Prof. Gutzwiller, arbeiten Präventiv- und Palliativmediziner von Natur aus zusammen?

Felix Gutzwiller:
Nicht unbedingt. Die Palliativmedizin ist eigentlich nicht unser Gebiet. Aber bei beiden Feldern geht es letztlich um das Verhindern von Krankheiten oder von Schmerzen. Ich beschäftige mich ja auch in der Suizidprävention, die in beiden Bereichen vertreten ist.

Die Palliativmedizin hat sich in den letzten Jahren weiter entwickelt, braucht es Organisationen wie EXIT überhaupt noch?

Gutzwiller:
Die Palliative Care hat sich tatsächlich in den letzten Jahren derart entwickelt, dass sie eine Antwort auf die Sterbehilfe sein könnte. Andrerseits hat 2011 auch der Bundesrat um Simonetta Sommaruga beschlossen, beim Gesetzgebungsprojekt Sterbehilfe den Status quo beizubehalten. Es ist also auch hier durchaus eine Legitimation vorhanden.

Eine Gratwanderung zwischen zwei Menschenrechten sei es, schreibt Gutzwiller in seinem Buchbeitrag*, dem Recht auf Freiheit, Menschenwürde und Privatsphäre, sowie dem Recht auf Fürsorge. Der Staat ist verpflichtet, beide Seiten zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz sei der Wille des urteilsfähigen Bürgers zu akzeptieren. Der Staat habe dafür zu sorgen, dass auch dem Leidenden ein würdiges Leben möglich ist – oder eben ein würdiges Sterben. Die Plattform und Strategie der Palliativ Care in der Schweiz bezeichnet Gutzwiller als gut, obwohl kantonal und nicht national geregelt. Die Basis sei da, um weiterzukommen. Es müsse jedoch klar aufgezeigt werden, was in der Schweiz funktioniere, und was nicht.

Wo sehen Sie derzeit die grössten Probleme bei Palliative Care?

Gutzwiller:
Wir müssen versuchen, die Angebotslücken in den einzelnen Kantonen zu schliessen. Zudem müssen Auszubildende darauf sensibilisiert werden, wie sie ein Behandlungsgespräch mit Patienten zu führen haben. Das wurde bisher vernachlässigt.

Was meinen Sie damit?

Gutzwiller:
Der Nutzen einer Behandlung ist eine relative Grösse. Aber die Bedeutung dieses Nutzens ist immer individuell. Der Patient muss sich überlegen können: Was bringt mir ein zusätzlicher Monat Lebenszeit? Hier gilt es seitens des Arztes, klar und offen zu kommunizieren.


JULIAN PERRENOUD

Bild:
Felix Gutzwiller «Die Verantwortung des Staates bei der Sterbehilfe» in
«Der organisierte Tod. Sterbehilfe und Selbstbestimmung am Lebensende.
Pro und Contra», Orell Füssli, Zürich 2012, CHF 24.90