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Palliativ-Pflege für Kinder und Jugendliche

Laut Hochrechnungen von Experten leben in der Schweiz rund 6'000 Kinder mit einer lebenslimitierenden Erkrankung. In Deutschland sind etwa 60'000 Kinder und Jugendliche auf Palliativpflege angewiesen: 20 Kinderhospize erleichtern die Betreuung. Warum fehlt in der Schweiz eine stationäre Institution für Kinder?

Niemand sollte in seiner letzten Lebensphase allein gelassen werden, schrieb palliative.ch vor zwei Jahren in einer Medienmitteilung, mit der auf Lücken in der palliativen Pflege in der Schweiz hingewiesen wurde. Kinder mit lebenslimitierenden Krankheiten werden heute zu Hause von ihren Eltern, meist mit Unterstützung der Kinderspitex, oder aber im Spital gepflegt. Bis heute fehlen jedoch Ergänzungsangebote zwischen Kinderklinik und der ambulanten Pflege durch Familienmitglieder, unterstützt durch pädiatrische Spitex und Freiwilligen-Organisationen.

Kinderhospize bieten in der Regel eine umfassende Betreuung an. Nicht nur eine spezialisierte, pädiatrische Palliativpflege und therapeutische Angebote für die kranken Kinder oder Jugendlichen, sondern auch pädagogische Angebote für die Erkrankten und ihre Geschwister. Die administrative, juristische und psychologische Beratung, sowie oft auch noch eine anschliessende Trauerbegleitung, gehören ebenfalls dazu.

Drei Projekte sind angedacht

In der Schweiz fehlt bisher ein Kinderhospiz, obwohl es schon lange Bestrebungen dazu gibt. Seit 2009 möchte die Stiftung Kinderhospiz Schweiz im Grossraum Zürich ein spezialisiertes Hospiz einrichten und seit acht Jahren führt diese Stiftung jeden Sommer Ferienwochen für Familien durch, in denen ein Kind eine lebensverkürzende Erkrankung hat. Mit den Ferienwochen sammelt diese Stiftung wertvolle Erfahrungen für den späteren Betrieb des Kinderhospizes. Dieses erfolgreich durchgeführte Entlastungsangebot wird bereits seit längerer Zeit von palliacura unterstützt.

2023 will die Stiftung allani Kinderhospiz Bern das erste Kinderhospiz der Schweiz eröffnen, in dem bis acht Kinder mit lebenslimitierenden Erkrankungen und deren Familien Platz haben werden. Zwei der Betten sind für Kinder in ihrer letzten Lebensphase vorgesehen. Und schliesslich plant der Verein «mehr leben» in Basel ein Mehrgenerationen-Palliativzentrum.

Warum fehlen Kinderhospize?

Die Tatsache, dass auch Kinder sterben, werde in der Gesellschaft kaum thematisiert und demnach auch in der nationalen Strategie Palliative Care nur am Rande berücksichtigt, stellt der Dachverband Hospize Schweiz in einem Factsheet fest. «Für die Umsetzung der Strategie sind die Kantone verantwortlich. Der Bedarf wird von diesen unterschiedlich wahrgenommen und entsprechend nicht umfassend angegangen.» Und weiter: «Es gibt in der Schweiz noch keine Tarifstruktur für Kinderhospize. Die Finanzierung ist somit unklar und die Kinderhospize sind auf Spenden angewiesen.» Alles in allem: Es müssen auf verschiedenen Ebenen Lösungen gefunden werden und das dauert im föderalistischen Gesundheitswesen der Schweiz oft jahrelang. Immerhin sind dank der drei Initiativen erste Schritte gemacht.

PETER KAUFMANN

Weitere Infos:

www.allani.ch

www.kinderhospiz-schweiz.ch


Kinderhospize: Endlich auch in der Schweiz

Jährlich sterben in der Schweiz 400 bis 500 Kinder. Umfassende Betreuungsangebote fehlten bisher, nun sind verschiedene Institutionen in Planung.

Gekürzter Artikel aus der Tageszeitung Der Bund vom 12.9.2022

Irgendwann an diesem Nachmittag im Emmental sagt Oxana Rindisbacher: «Wenn es so weit ist, wünsche ich mir, dass sie einfach einschläft und nicht mehr aufwacht.» «Ich mir auch», pflichtet ihr Ehemann Urs bei, «aber wir wissen, dass es nicht zwingend so kommen wird. Deshalb möchten wir uns vorbereiten.»

Im Zimmer nebenan ertönt ein leiser Schrei. «Genau, kleine Bohne, wir sprechen von dir», ruft er rüber. Die kleine Bohne, das ist Tochter Xenia, siebeneinhalb Jahre alt und unheilbar krank. Sie kann nicht laufen, nicht sprechen, nicht selbstständig essen, nicht trinken. Wie viel sie versteht und ob sie mitbekommt, was um sie herum passiert, wissen die Eltern nicht genau. «Sie zeigt Emotionen und reagiert auf Menschen», sagt Urs. Mehrmals am Tag hat Xenia aber auch epileptische Anfälle, die ihr Hirn immer wieder auf null zurücksetzen. «Sie kann deshalb nichts lernen.» Der Grund dafür ist ein extrem seltener Defekt eines Gens, das Mediziner SCN8A getauft haben.

Weder die Mutter noch der Vater waren vorbelastet. «Der Defekt ist neu entstanden, ein Fehler der Natur», meint Oxana Rindisbacher. Dieser Fehler ist verantwortlich dafür, dass sich das Ehepaar jetzt mit dem auseinandersetzen muss, was eigentlich nicht sein sollte. Mit dem Tod seiner eigenen Tochter. Eine Prognose zur Lebenserwartung von Xenia können aber nicht einmal die Spezialistinnen abgeben. «Unsere Neurologin hat gesagt, dass sie das Erwachsenenalter erreichen könnte», sagt Urs. Es ist aber nicht diese Ungewissheit, die ihm und seiner Ehefrau besonders viel Mühe bereitet. Vielmehr ist es die Vorstellung, dass ihre Tochter in einem Spital sterben könnte. «Wir möchten uns in einem würdigen Rahmen von Xenia verabschieden können.»

Xenia ist eines von rund 5000 Kindern in der Schweiz, die eine lebenslimitierende Krankheit haben. Jedes Jahr sterben 400 bis 500 von ihnen. Darüber sprechen tut kaum jemand. Nach wie vor ist der Tod von Kindern ein Tabu. In der Schweiz befindet sich die sogenannte pädiatrische Palliative-Care-Versorgung, also die Betreuung von unheilbar kranken Kindern, denn auch erst in einem Anfangsstadium. In den Spitälern wurden zwar teilweise spezialisierte Teams aufgebaut. Doch ausserhalb der Kliniken fehlen stationäre Angebote weitgehend. Während es in Deutschland 20 Kinderhospize gibt, existiert hierzulande kein einziges. Das soll sich nun ändern. Eine Stiftung will im Spätherbst 2023 in Riedbach im Westen Berns die erste solche Institution eröffnen. Ähnliche Projekte gibt es in Zürich und Basel, diese sind aber weniger weit fortgeschritten. […]

Riedbach liegt nur ein paar Minuten Autofahrt vom Berner Stadtzentrum entfernt – und ist trotzdem nicht mehr als eine Ansammlung einiger Bauernhäuser inmitten der Natur. Vor einem dieser Gebäude weht eine weisse Fahne mit der Aufschrift «Allani Kinderhospiz». Im Erdgeschoss hängen Baupläne an der Wand. Darauf ist eingezeichnet, was hier entstehen soll: acht Zimmer für betroffene Kinder und deren Eltern, Aufenthaltsräume, Spielebenen, Pflegeinfrastruktur. Simone Keller ist einer der Köpfe hinter dem Allani-Projekt. Sie ist Pflegeexpertin an der Kinderklinik des Inselspitals und sagt: «Ein Spital ist nicht per se der falsche Ort für ein Kind, um zu sterben. Aber die Eltern sollen eine Wahl haben.» Ihr Ziel ist es, mit dem Kinderhospiz die Sicherheit eines Spitals und die Atmosphäre eines Zuhauses zu kombinieren. […]

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Erstes Kinderhospiz der Schweiz in Riedbach BE: Die Eröffnung ist 2023 geplant.