Pflegeheime sind das schwächste Glied in der medizinischen Versorgungskette. Genau 152'753 Personen wohnten 2020 in einem Alters- oder Pflegeheim (Bundesamt für Statistik: Alters- und Pflegeheime). Trotzdem schenkten die Behörden den Pflegeheimen bei der Pandemiebewältigung längere Zeit nicht die nötige Aufmerksamkeit. Bekanntlich wurde zu Beginn der Pandemie den Pflegeheimen - im Vergleich zu den Spitälern - nicht genügend Schutzmaterial zugeteilt.
Verbindliche Regelungen fehlen in der Schweiz
Auch die ärztliche Versorgung konnte in vielen Pflegeheimen nur ungenügend sichergestellt werden. Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte konnten oder wollten die von ihnen betreuten Bewohnenden in den Pflegeheimen nicht mehr besuchen; obwohl es gerade in diesen Einrichtungen vermehrt zu Infektionen und Todesfällen durch COVID-19 kam. Statt die Pflegenden durch situative Beratung, Symptomkontrolle und angepasste Medikation zu unterstützen, kam es in vielen Pflegeheimen zu einer eigentlichen Unterversorgung. Sicherlich waren die Gründe dafür vielfältig. Allerdings zeigte sich nach einer ersten Analyse durch die Swiss National Covid-19 ScienceTask Force ein erhöhter Bedarf an Wissen und Kompetenz im Bereich der Pflegeheim-Medizin mit Fokus Geriatrie und Palliativmedizin. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch Demenzerkrankte und Menschen am Lebensende, wobei es hier nicht nur um Wissen, sondern auch um Haltung, Kommunikation und interprofessionelle Zusammenarbeit geht.
In der Schweiz gibt es keine verbindlichen Regelungen und vielerorts auch keine Empfehlungen zur ärztlichen Betreuung von Heimbewohnenden. Mehrheitlich bestehen, im Gegensatz zu Spitälern, keine Regelungen bezüglich Sicherstellung der ärztlichen Präsenz, Qualifikation und Verfügbarkeit, Weisungsbefugnis und der Verantwortung für die medizinischen Belange im gesamten Pflegeheim. In Notfallsituationen, insbesondere nachts und an Wochenenden, wird hauptsächlich der regionale Notfalldienst in Anspruch genommen, was zu unnötigen und oft auch von den Bewohnenden nicht erwünschten Spitaleinweisungen führt.
Freude und Sicherheit vermitteln
«Die vorausschauende Planung ist bei Patientinnen und Patienten in einem Pflegeheim sehr wichtig,» sagt Dr. Roland Kunz, Geriater und Palliativmediziner aus Zürich. «Das gibt den Behandlungsteams viel Sicherheit. Pflegende sollten möglichst selten von plötzlichen Schmerz- und Angstattacken bei Schwerkranken überrascht werden. Vielmehr gilt es diese vorauszusehen und vorausschauend entsprechende Massnahmen zu planen und zu verordnen.»
Um eine fachgerechte ärztlich-medizinische Betreuung der Bewohnenden in Pflegeheimen zu fördern, hat eine Arbeitsgruppe, bestehend aus sieben Fachpersonen aus unterschiedlichen Bereichen, eine neue Fortbildung für Hausärzte, welche auch Heimärzte sind, konzipiert: Das Einmaleins der Pflegeheim-Medizin.
Der Intensivfortbildungskurs umfasst 2 Module an je 2 Tagen: Ein Vertiefungsmodul Geriatrie, ein Vertiefungsmodul Palliative Care. Die Module sind interprofessionell angelegt mit Einbezug von Pflegenden, Physiotherapeuten und anderen Gesundheitsfachpersonen, um dem Stichwort «miteinander, voneinander und übereinander zu lernen» gerecht zu werden. Dabei kommen unterschiedliche, bewährte Lernmethoden zur Anwendung – immer im Wechsel zwischen theoretischen Inputs und praktischem Training.
«Mit diesem Kurs wollen wir einen qualitativen Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in den Pflegeheimen leisten,» betont Roland Kunz, Mitinitiator des Einmaleins der Pflegeheim-Medizin. «Wir wollen junge Hausärztinnen und -ärzte nicht nur befähigen, sondern möchten ihnen auch Freude und mehr Sicherheit in der Behandlung von älteren Menschen vermitteln.» RG /PK
Quellen:
Bundesamt für Gesundheit: Umgang mit aktuellen Herausforderungen für die stationäre Langzeitpflege in der Schweiz: Lessons learned aus der Corona-Pandemie. Empfehlungen eines nationalen Expertenkomitees (2022)
Aus EXIT-Info 3.22