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Corona war für die Palliative Care wie ein Boost

Vor 20 Jahren stand die Palliativmedizin ganz am Behandlungsende. Heute arbeiten die Palliativmedizinerinnen und -mediziner in den Spitälern fachübergreifend. Im Idealfall sehen sie Erkrankte schon früh ein erstes Mal, sei es für ein Schmerz-Assessment oder um die Patientenverfügung zu besprechen. Die Corona-Pandemie brachte zudem neue Erkenntnisse.

Corona hat die Bedeutung der Palliativmedizin zusätzlich beeinflusst. «Ich musste mir unter katastrophenmedizinischer Perspektive das erste Mal in 30 Berufsjahren die Frage stellen, was das Minimum an palliativer Pflege ist», erklärt Prof. Sophie Pautex, Leiterin des Palliativzentrums des Universitätsspitals Genf (HUG) und seit November 2020 in der nationalen Covid-19 Science Task Force. «Natürlich haben wir unheimlich viel und mit sehr vielen Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet – auf der Intensivstation, im Notfall und auf der Geriatrie. Auch unsere mobilen Palliative Care Teams waren rund um die Uhr im Einsatz.» Der riesige Einsatz war jedoch eine gute Erfahrung: Die Palliative Care wurde enorm gebraucht und dadurch stärker wahrgenommen als vor Corona, im Berufsalltag wie auch politisch. Insofern war und ist die Pandemie auch eine Chance für die Palliativmedizin mit wichtigen Erkenntnissen*.

Was wir brauchen

Die Pandemie hat uns noch deutlicher vor Augen geführt: Es braucht nicht nur in den Spitälern Palliativbetten oder die Spezialisierte Palliative Care. Zahlen des Bundesamtes für Statistik (2020) zeigen, dass die palliativmedizinische Versorgung in der Schweiz nicht flächendeckend gegeben ist. Von 25‘977 im Jahre 2018 im Spital verstorbenen Menschen, erhielten gerade mal 3‘080 bei ihrer letzten Hospitalisierung spezialisierte Palliative Care. In der ambulanten Versorgung von schwerkranken und hochbetagten Menschen sieht die Statistik noch trister aus.


Die Präsidentin von palliative.ch, Marina Carobbio Guscetti (Bild oben), stellt fest: «Die Statistiken zeigen das, was wir aus der Praxis wissen: Es besteht eine deutliche Unterversorgung im Bereich Palliative Care in Schweizer Spitälern, insbesondere für Patientinnen und Patienten mit Nicht-Tumor-Erkrankungen. Die Kantone sind aufgefordert, diesem Mangel durch die Förderung und Etablierung von palliativmedizinischen Konsiliardiensten an allen grösseren Spitälern und auch im ambulanten Bereich zu begegnen». Die Tessiner Ständerätin lancierte deshalb unter anderem die Motion 20.4264 SGK-SR «Für eine angemessene Finanzierung der Palliative Care».

RENATE GURTNER VONTOBEL

*Gurtner Vontobel Renate & Theile Gudrun (2021). Palliative Care: Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie – Fokussierung, Umsetzung, Weiterentwicklung, im Auftrag des BAG

Dafür steht palliative.ch

«Der Verein palliative.ch steht für eine Schweiz weit ganzheitliche und interprofessionelle Palliative Care, in der Medizin und Pflege ebenso integriert sind wie Seelsorge, Psychologie, Sozialarbeit sowie weitere ärztlich indizierte therapeutische Behandlungen. Wir sorgen für aktuelles, verfügbares Wissen und erbringen den Nachweis des gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzens. Zudem würdigen wir die Bedeutung von menschlicher Nähe, spirituellen Ressourcen, Trost, Hoffnung und das Ringen um Sinn am Ende des Lebens. Damit schaffen wir die Basis für eine umfassende Anerkennung und Finanzierung von Palliative Care-Leistungen in der Schweiz. Wir erreichen dies auch dank aktiver Vernetzung der handelnden Akteure untereinander und mit der Bevölkerung.

80 Institutionen in der Schweiz verfügen über das Label ‘Qualität in Palliative Care’ - zertifiziert durch qualitépalliative, dem Schwesterverein von palliative.ch.»

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Bild: Die Präsidentin von palliative.ch, Ständerätin Marina Carobbio Guscetti, am Nationalen Palliative Care Kongress 2021 in Biel.
Foto: Tom Hiller